Rezension: Die Fauna der Nordsee - Niedere Tiere 1 (S. GEHRMANN)

  • Sven GEHRMANN:
    Die Fauna der Nordsee
    Meerestiere der nordeuropäischen Küsten
    Niedere Tiere 1

    Verlag Lobby for a dying nature, Hannover, 2008
    ISBN-13: 978-3981255300
    204 Seiten; Preis: € 33,95


    Endlich hat sich Sven GEHRMANN, bekannt von vielen Artikeln in Fachzeitschriften und seiner Homepage www.nordseefauna.org, daran gemacht, sein Wissen zwischen Buchdeckeln festzuhalten. Und um es gleich vorwegzunehmen: Er hat gut daran getan! Seine Bücher füllen eine Nische, die bis dato unbesetzt war. Und so soll es ja sein. Dass Bücher nicht ein schon oft behandeltes Thema zum x-ten Mal mit gleichem Inhalt (und nur zu oft dreist und ohne zu zitieren abgeschrieben) wieder aufwärmen, sondern dass aus dem auf Papier Festgehaltenem das Engagement sowie die eigenen Gedanken und (Forschungs)Erfahrungen in wortwörtlichem Sinn ihren Ausdruck finden.


    Seit 1983 beschäftigt sich der Autor als Aquarianer und Privatforscher mit einheimischen Wassertieren, insbesonders mit Nordseetieren. Das vorliegende Buch ist der erste Teil eines zweibändig angelegten Werkes, das uns die wirbellosen Tiere der Nordsee näher bringt. In eigenem, zum Teil sehr subjektiv – und das ist durchaus positiv gemeint, da aus jeder Zeile die persönliche Erfahrung GEHRMANNs spürbar ist – gefärbtem und stellenweise humorvollem Stil und mit ausschließlich eigenen Fotos ausgestattet, behandelt das Buch über hundert Krebstiere, Würmer, Stachelhäuter, Manteltiere und Schwämme im Detail. 170 Arten finden insgesamt Erwähnung.


    Am Beginn steht eine kleine Einführung in die Systematik, die für jeden naturwissenschaftlich Interessierten von Bedeutung ist, da ohne sie eine Zuordnung einzelner Lebewesen nicht möglich ist. Es folgt eine Beschreibung der Habitate der Nordsee, und so bekommt man einen Eindruck, in welchen Lebensbereichen sich die im Folgenden aufgeführten Tiere aufhalten.


    Gleich darauf jedoch geht es in medias res – eben die Beschreibung der einzelnen Tiere. Jede Art hat mindestens eine Seite Raum bekommen und wird mit mindestens einem Foto bildlich dargestellt. Krebstiere, das Spezialgebiet des Autors, beanspruchen mit 64 Arten dabei den größten Teil des Buches. Alleine die Beschreibung von 5 Seepockenarten und 6 Seeasselarten zeigt die Akribie, mit der GEHRMANN zu Werke ging. Viele Seiten beansprucht natürlich der Hummer (Homarus gammarus), das Lieblingstier des Autors, das er auch in mehreren Exemplaren in einem riesigen Aquarium pflegt. Auch die Stachelhäuter finden mit 24 Arten viel Platz. Würmer, Manteltiere und Schwämme ergänzen den Reigen der beschriebenen Tiere.


    Immer wird auch die Pflege im Aquarium eingehend behandelt. Das ist umso lobenswerter, als es sich bei der Pflege von Tieren der gemäßigten Meere ja um ein Stiefkind der Meerwasseraquaristik handelt. Leider, denn ob der Begeisterung für Korallen und anderer tropischer Tiere, die geeignet sind, unser Fernweh zu befrieden, ist die höchst anspruchsvolle und oftmals aufwendige Haltung europäischer Tiere ins Hintertreffen geraten und wird zu Unrecht als „Anfängeraquaristik“ abqualifiziert. Auch auf die Haltung in kommerziellen Anlagen wird eingegangen.


    Ein weiteres Kapitel ist dem Fang und dem Import von lebenden Tieren gewidmet. Viele der beschriebenen Lebewesen können ja kaum eigenhändig gefangen werden, sodass man auf die Netzfänge von Kuttern angewiesen ist. Der Autor verfügt da über entsprechende Kontakte, sodass er auch über selten gepflegte Tiere aus eigener Erfahrung berichten kann.


    Bei allen Tiergruppen wird – und auch das stellt einen bislang in aquaristischer und populärwissenschaftlicher Literatur nicht behandelten Bereich dar – auf die Präparation eingegangen. Wir erfahren, dass Sven GEHRMANN selbst über eine große Sammlung eigenhändig präparierter Tiere verfügt. Dieses Wissen der fachgerechten Konservierung gibt er in seinem Buch weiter und verbindet es gleich mit einem Exkurs über die Anatomie der behandelten Tiere. Auch über die fachlich korrekte Beschreibung der Präparate werden wir unterrichtet.


    Als roter Faden ziehen sich leidenschaftliche Plädoyers für Umweltschutz und gegen eine Zerstörung der Erde durch das Buch. In jeder Zeile ist die Leidenschaft für das behandelte Thema spürbar (davon zeugt ja auch der Name des Verlages), und das ist es auch, was ich zu Anfang als „subjektiv“ bezeichnete: Dieses Buch vermag Begeisterung zu vermitteln. Und diese Begeisterung in Vereinigung mit fachlichem Wissen macht dieses Werk zu einem Buch, das jedem, biologisch Interessierten wärmstens ans Herz zu legen ist.


    Harold Weiss

  • Hallo Harold,


    vielen Dank für die Rezension; ich merke, dass Du Dir dafür sehr viel Zeit genommen hast! In der Tat habe ich zu jeder Art mit viel Akribie ermittelt, aber eigentlich nur um die Details festzuklopfen und weitgehend unbekannte Sachverhalte und Zusammenhänge aufzuzeigen. Zu manchen Themen hätte ich noch wesentlich mehr schreiben und recherchieren können, doch dann würde es in manchen Bereichen selbst für wirklich Interessierte sehr annstrengend werden.
    Mir war es auch wichtig, einmal ein paar tote geöffnete Tiere zu zeigen, denn ich bin überzeugt davon, dass sich aus besseren anatomischen Kenntnissen von Tieren auch bessere Haltungsbedingungen im Aquarium entwickeln lassen, da das Verständnis der Lebewesen als solche zugenommen hat.
    Meine Recherchen haben mich zu erschreckenden Erkenntnissen geführt, denn die Summer vieler kleiner Details bedeutet meiner Meinung nach, dass die Nordsee als sterbendes Meer gesehen werden muss, ohne die Chance, irgend etwas retten zu können. Es ist viertel nach 12!
    Zu diesem Thema kommt übrigens am nächsten Mittwoch um 22.20h eine Sendung im ZDF: Nordsee - Deutsches Meer in Not.


    Was mich wirklich wütend und traurig zugleich macht, ist die Ignoranz von Behörden, Wirtschaft und Politik... ;( Der Mensch ist letztlich auch nur ein kleiner Teil einer vergifteten, sterbenden Umwelt, der es jetzt bereits in kleinen Portionen abbekommt, doch die ganz große Quittung kommt noch...


    LG, Sven!