Mondmuscheln, Bakterien und Seegras

  • Hallo Community,


    jetzt ist er endlich auch online im Archiv verfügbar! :)


    Der Artikel nämlich über die Mondmuscheln, im Standard vom vergangenen Wochenende: http://derstandard.at/20000302…hung-fuer-Millionen-Jahre


    Was mich daran so fasziniert ist eben die Dreiecksbeziehung. Hab ich doch immer wieder erleben müssen, dass anfänglich toll gedeihendes Seegras nach wenigen Monaten kümmerte und schließlich ganz eingegangen ist.


    Die schädliche Wirkung von Sulfid auf die Pflanzenwurzeln war mir bis dahin absolut unbekannt. Im Gegenteil: Ich hatte angenommen, dass das sogar wichtig ist für das Seegras, weil das Bodensubstrat in Seegraswiesen viel organischen Abfall und dem entsprechend hohe Schwefelwasserstoffkonzentrationen enthält. Der Nachschub an Biomasse ist ebenfalls enorm, also war ich bemüht, in den Aquarien, in denen Seegras gepflanzt war, diesen hohen Nährstoffgehalt sicherzustellen.


    Mein letzter Versuch zur Etablierung von Seegras liegt noch nicht lang zurück: Anfang November des Vorjahren hab ich mit Unterstützung von Riff-Toys eine größere Menge Seegras aus Cebu bekommen, und davon konnte ich auch einen Teil im Mangrovenbecken unterbringen. Große Hoffnung hatte ich nicht, weil der Wasserstand dort extrem niedrig und die Salinität mit 23 psu gering ist. Obendrein herrscht stellenweise eine ziemlich starke Strömung.


    Während in den anderen Becken das Seegraswachstum nach dem üblichen Wachstumsschub am Anfang mittlererweile zu wünschen übrig lässt, gedeihen die Pflanzen im Mangrovenbecken nach wie vor gut. Des Rätsels Lösung scheint tatsächlich der Schwefelwasserstoff zu sein. Im Mangrovenbecken ist nach 9 Jahren trotz des mehr als 20 cm hohen Bodensubstrats der typische Geruch nach faulen Eiern kaum mehr wahrzunehmen, wenn man mit dem Finger ein Loch bohrt. Das feine Wurzelgeflecht der Mangroven scheint dabei eine Rolle zu spielen, sowohl als Sauerstoffbringer (über die Luftwurzeln) als auch als Substrat für Bakterienfilme, die H2S abbauen.


    Frau Prof. Petersen war so nett und hat mir inzwischen Tipps gegeben, in welchem Bodensubstrat die mediterrane Loripes lucinalis zu finden ist:


    Zitat

    Wir holen unsere Muscheln auf Elba, aber die Mondmuschel kommt (fast) überall im Mittelmeer vor. Wir sind selbst noch ganz am Anfang unserer Suche nach der besten Beprobungsstelle! Auf Elba findet man sie in 7 m Wassertiefe, also muss man tauchen um sie zu sammeln. Sie kommen auch vor an der slowenischen Adriaküste, allerdings weiss ich noch nicht, in welcher Tiefe, und wo genau. Seegraswiesen sind immer ein guter Startpunkt für so eine Suche. Allerdings findet man die Muschel nicht direkt in Posidonia Seegraswiesen, da Posidonia eine dicke Matten-Struktur bildet. Auf Elba finden wir sie im Sediment direkt neben Posidonia. Bei anderen Seegräsern, wie Cymodocea oder Zostera würde ich einfach ins Seegras-Sediment nach Muscheln graben. Man findet sie meist bis 20 cm tief im Sediment eingegraben.


    Weil Mondmuscheln weltweit verbreitet sind habe ich auch auf Cebu nachgefragt und bin neugierig, ob ich gelegentlich ein paar Exemplare der dort lebenden Art Codakia tigerina bekommen kann. Spannend ist ja auch dieser Bericht: http://www.ecologycenter.us/mo…bivalvia/present-day.html. Es ist unglaublich welche Vielfalt an Organismen unter der Bodenoberfläche lebt.


    Schwefel oxidierende Bakterien scheinen in jedem Fall eine positive Rolle bei der Aufrechterhaltung eines für die Graswurzeln günstigen Bodenklimas zu spielen, denn in einem der Seegrasbecken habe ich kürzlich eine Population Beggiatoa-Bakterien entdeckt. In diesem Bereich sehen die Pflanzen durchaus gesund aus. Ich konnte aber nicht erkennen, wie tief die Kolonie in das Substrat reicht. Vermutlich nicht weit. Denn noch was hab ich gelernt: Schwefeloxidation findet nicht unter anaeroben Bedingungen statt. Beggiatoa ist ein aerobes Bakterium.


    Ich hab keine Ahnung, ob das hier sonst noch viele interessiert. Ein paar aber sicher, mit denen möcht ich meine Freude teilen :)


    Liebe Grüße
    Linda

    Nie ist zuwenig, was genügt.
    Heinz Staudinger, Waldviertler Schuhwerkstatt

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  • Hallo Geri,


    für dich (und alle, die nicht auch im MWF sind, die's aber vielleicht auch interessiert) hab ich den Beitrag zuerst hier geschrieben :)


    Danke für's Feedback!


    Liebe Grüße
    Linda

  • Hallo Linda,


    sehr spannend!

    Salzige Grüße
    Gerhard


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    "Was wir wissen, ist ein Tropfen; was wir nicht wissen, ist ein Ozean." (Isaac Newton)


    "Über andere schlecht zu reden ist schlimmer als zu stehlen, denn Gestohlenes kann man zurückgeben, Worte bleiben ausgesprochen." (jüdische Weisheit)

  • Hallo Reinhard und Gerhard,


    danke auch euch für's Interesse :)


    Reinhard: Ja, Frau Prof. Petersen hat in ihrer Antwort geschrieben:

    Zitat

    Sie kommen auch vor an der slowenischen Adriaküste, allerdings weiss ich noch nicht, in welcher Tiefe, und wo genau.

    Weißt du mehr?


    Im Übrigen möcht ich euch sagen, dass Hans-Werner heute ein paar sehr interessante Dinge zum Thema Schwefelwasserstoff im MWF (Seegrasthread) geschrieben hat. Das ist erst recht spannend!


    Diesen Thread hier werd ich nimmer weiterverfolgen. Parallelthreads sind doch recht anstrengend.


    Liebe Grüße
    Linda

  • Hai,


    ja diese Muscheln sind wirklich sehr nützlich! Schon seit einigen Jahren verwende ich ihre Schalen als Türstopper! :D :D :D
    Mal Spaß beiseite:
    Lebende Exemplare habe ich bis jetzt leider noch nie im Handel oder auf Stocklisten gesehen.
    Ich denke, dass die Haltbarkeit nicht gut ist. Hast Du schon mal lebende "Vongole" aus dem Speisehandel probiert? Die Venusmuscheln halten sich wenigstens einige Wochen bis Monate.
    Ich vermute aber, dass sie stetig kleine Diatomeen als Futter brauchen, was leider nur schwer zu realisieren ist!


    LG, Sven! :P ;) :rolleyes:

  • Diesen Thread hier werd ich nimmer weiterverfolgen. Parallelthreads sind doch recht anstrengend.

    Hallo ihr Lieben,


    das geht offenbar doch nicht, 'parallel' schaut anders aus :)


    Zitat von Reinhard

    Ich habe einen Bekannten der in Mali losinj eine Biologische Station betreibt-
    Soll ich mal nachfragen?

    Hallo Reinhard,


    danke, das wäre natürlich eine feine Sache. Wie erwähnt hab ich zwar auch auf Cebu nachgefragt wegen der dort vorkommenden Codakia tigerina, aber ich weiß nicht, ob ich welche bekommen. Auch wenn Mondmuscheln weltweit recht häufig sein dürften: Kennen tut sie kaum wer (außer Sven, der sie als Türstopper verwendet, und ein paar Sammler :)). Dieses 'Schicksal' dürften sie mit den zahllosen anderen Lebewesen teilen, die im Bodensubstrat wohnen.


    Loripes lucinalis hat den Vorteil, kleiner zu bleiben als die tropischen Arten. Und falls sie eine Winterruhe brauchen, dann wird sich das einrichten lassen bzw. bin ich sicher, quasi bei mir um's Eck eine Interessentin zu finden für Mondmuscheln aus Slowenien.


    Zitat von Sven Gehrmann

    Ich vermute aber, dass sie stetig kleine Diatomeen als Futter brauchen, was leider nur schwer zu realisieren ist!

    Hi Sven,


    mit einer florierenden Zucht von Phaeodactylum tricornutum sollte sich das doch machen lassen, oder? :)


    Mondmuscheln hingegen brauchen bloß ihre Symbionten, und die wiederum Schwefelwasserstoff. Der ist in einem höher geschichteten Bodensubstrat mit ausreichend Nachschub an organischem Material keine Mangelware.


    Hans-Werner hat im MWF-Seegrasthread mehrere links gepostet zum Thema Schwefeloxidation durch Mikroben bzw. Sulfatatmung. Das halt ich für das eigentlich Spannende an der Geschichte.


    Liebe Grüße
    Linda

  • Hallo Linda,


    das ist alles sehr interessant, aber es stellt sich die Frage, welchen praktischen Nutzen man daraus (für die Kultivierung von Seegräsern) man ziehen kann. Ich bin skeptisch, dass man Mondmuscheln dauerhaft oder auch nur länger in einem Aquarium üblicher Größe halten kann. Und eine oder mehrere tote Muscheln in einem DSB stelle ich mir nicht so lustig vor (ich möchte sie jedenfalls nicht ohne ABC-Schutzmaske dort herausholen :) ). Es sollte aber andere Möglichkeiten geben, Schwefelwasserstoffkonzentrationen im Boden zu reduzieren. Größere grabende Tiere scheiden wohl wegen der Störung der Bodenbiologie aus, aber eine massive Wurmpopulation wäre vielleicht hilfreich. Technisch fällt mir das Jaubert-System mit minimaler Bodendurchflutung von unten nach oben oder tropfenweisem bzw. regelmäßigem Abzug des Plenum-Wassers ein.


    Gruß


    Wolfgang

    Die Aquaristik ist eine Liebhaberei, bei der die Liebe im Vordergrund stehen soll und nicht die Haberei!

  • Hallo Wolfgang,


    der Artikel über die Mondmuscheln und ihre Symbionten hat mich erst auch die Idee gebracht, dass nicht Phosphat und Nitrat die wesentlichen Parameter sind für die erfolgreiche Kultivierung von Seegras, sondern die Begrenzung des Schwefelwasserstoffs, der in diesem Milieu mit seinem hohen Stoffumsatz unvermeidlich entsteht.


    Zitat von Hans-Werner im MWF

    ... hemmt H2S die Alkoholdehydrogenase in der Pflanzenwurzel und den Energiestoffwechsel. Es geht also wohl um die Hemmung von Enzymen.


    Der praktische 'Nutzen' der Mondmuschen im Aquarium bestünde darin, dass sie in größere Substrattiefen vordringen als es etwa die Beggiatoa-Bakterien von selber können und damit auch dort für die Sulfidoxidation sorgen. Fraglich ist halt, ob dort dann auch der Nachschub an H2S gesichert ist, um ein halbwegs stabiles Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Naheliegend ist für mich, dass die Muscheln die Sulfidgrenze suchen und allenfalls auch in höhere Schichten aufsteigen, wenn es weiter unten nicht mehr genügend zu essen gibt für die Symbionten.


    Natürlich wäre es nicht so toll, wenn die Muscheln selbst zu Schwefelwasserstoffbomben würden. 2 bis 3 von den adriatischen Minis würd ich in einem 54 Liter-Aquarium trotzdem nicht als als Großrisiko ansehen.


    Würmer und andere im Boden wohnende Lebewesen hab ich viele in den Seepferdchenbecken. Ich glaub aber, dass die Würmer und Schnecken nur knapp unterhalb der Substratoberfläche bis in eine Tiefe von vielleicht 2-3 cm leben. In diesem Bereich werden ihre Ausscheidungen auch für genügend Sulfid sorgen, dass die Seegraswurzeln geschädigt werden können. Die Frage ist dann, ob sulfidoxidierende Bakterien wie Beggiatoa ihre Filamente bis in diese Tiefe ausdehnen oder ob sie vielleicht über das Wurzelsystem der Gräser sogar auch in tiefere Schichten gelangen können.


    In dem Fall wären die Mondmuscheln tatsächlich 'nur' mehr interessante Studienobjekte, die im Normalfall nicht einmal sichtbar sind :rolleyes:


    Aber wie gesagt: In Bezug auf das Seegras spielt das Sulfid offenbar eine wichtige Rolle, und die Dreiecksbeziehung im Standardartikel war für mich der Auslöser, mich mit dem Thema Schwefelwasserstoff im Bodensubstrat eingehender zu beschäftigen. Da gibt's jetzt sehr viel Lesestoff für mich.


    Das Mangrovenbecken funktioniert ähnlich wie das Jaubert-System (nur dass ich 2007 nicht gewusst hab, dass mein Konzept eh schon einen Namen hat), aber in dieser Form kann ich's in den Seegraspferdchenaquarien nicht umsetzen.


    Liebe Grüße
    Linda

    Nie ist zuwenig, was genügt.
    Heinz Staudinger, Waldviertler Schuhwerkstatt

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  • Hallo Linda,


    wenn das Zusammenspiel im Aquarium auch so perfekt ablaufen würde, wäre das natürlich eine tolle Sache. Und wenn du nur an die Winzlinge aus dem Mittelmeer denkst, wäre das Risiko auch nicht so hoch. Tropische Arten werden aber bis 10 cm groß und ergäben sicher schon bei der Hälfte einen netten Aasbrocken :kotz: .
    Aber auch bei den MMMM (MittelMeerMondMuscheln) wirst du vermutlich einige brauchen, um flächendeckend das H2S spürbar zu reduzieren. Und ob dann der Nachschub so gleichmäßig klappt? Verhungern sollen sie bzw. ihre Symbionten ja auch nicht. Aber da macht wie so oft sicher nur der Versuch klug.


    Gruß


    Wolfgang

    Die Aquaristik ist eine Liebhaberei, bei der die Liebe im Vordergrund stehen soll und nicht die Haberei!

  • Aber da macht wie so oft sicher nur der Versuch klug.


    Hallo Wolfgang,


    zumindest ist es eine spannende Sache.


    Und wenn ich davon ausgehe, dass die Muscheln ihre Symbionten nicht ganz einfach verhungern lassen, sondern dem Sulfid folgen, dann werden hoffentlich auch sie nicht so schnell verhungern. Die Herausforderung besteht wohl darin, das zu beobachten :)


    Da sich aus den von Hans-Werner gesposteten links mittlererweile doch einige weitere Perspektiven ergeben haben, sind Mondmuscheln ja nicht die einzige Möglichkeit, H2S im für die Graswurzeln verträglichen Bereich zu halten.


    Es funktioniert grundsätzlich auch ohne sie, etwa in meinem Mangrovenbecken oder in der Seegraswiese deines Namensvetters. Bei Wolfgang sorgen eventuell die Seegurken für ein schwefelwasserstoffarmes Bodenmilieu. In einem auch von Fischen bewohnten Aquarium wär mir das aber zu riskant.


    Ich bin neugierig, wie's weitergeht mit der Dreiecksbeziehung.


    Liebe Grüße
    Linda

  • Hallo Linda!


    Zitat

    Und wenn ich davon ausgehe, dass die Muscheln ihre Symbionten nicht ganz einfach verhungern lassen, sondern dem Sulfid folgen, dann werden hoffentlich auch sie nicht so schnell verhungern.

    Für so "klug" und agil hältst du sie?


    Zitat

    Die Herausforderung besteht wohl darin, das zu beobachten

    Du musst sie chipen, dann kann man sie orten. Oder du klebst ihnen kleine Fäden mit Schwimmbojen an 8) . Ich sehe schon vor mir, wie Linda die Mondmuscheln von Weideplatz zu Weideplatz treibt. :ablach:



    Zitat

    Ich bin neugierig, wie's weitergeht mit der Dreiecksbeziehung.

    So etwas habe ich nicht :rolleyes: !


    Gruß


    Wolfgang

    Die Aquaristik ist eine Liebhaberei, bei der die Liebe im Vordergrund stehen soll und nicht die Haberei!

  • Für so "klug" und agil hältst du sie?


    Hallo Wolfgang,


    zumindest die Agilität trau ich ihnen zu. Jillian Petersen schreibt, dass die Muscheln, wenn ausgegraben, sehr schnell wieder in das Substrat zurückkehren.


    Chipen ist gut! Da im Forum gibt es bestimmt ein paar Technikfans, die das Signal in ein dreidimensionales Aquariummodell übertragen können. Auf diesbezügliche Angebote freut sich


    Linda



    PS: Dreiecksbeziehungen interessieren mich eh nur bei Muscheln, Bakterien und Seegras =)

  • Hi,


    Hab den Thread gerade erst entdeckt!
    Sehr spannend!!!


    Dann werden wir im Sommer wohl mal graben ;-)))
    Leider ist der Thread erst nach unserem Urlaub aufgekommen, sonst hätten wir das auf den Philippinen auch schon mal versucht. Dort gibt es ganz wunderbare Seegraswiesen, aber was drunter ist haben wir natürlich nicht erforscht...


    Von der letzten Lieferung ist doch einiges gewachsen. Muss mal wieder Fotos machen.


    Auch von den Philippinen haben wir natürlich Seegras mitgenommen. Diesmal ist auch wieder das runde dabei ;-) Vorerst schwimmt es noch in einem Einhängebehälter, am Wochenende wird es in die bewährte Mischung aus Sand und Hans-Werners Schlamm gesetzt.


    lg,
    Sonja

  • Hallo Sonja,


    bei deinen Bildern geht mir das Herz auf. So wünschte ich mir meine Seegrasaquarien. Oder zumindest so wie eure Wiese zuhause :)


    Nach den jüngsten Erkenntnissen zum Thema Sulfid oxidierende Bakterien sind die Mondmuscheln zwar nimmer das Um und Auf, aber interessant wär's ja wirklich, ein paar über eine gewisse Zeit im Aquarium zu 'beobachten'.


    Neugierig bin ich, ob ihr in Kroatien welche finden werdet. Vielleicht gibt's dann die Möglichkeit eines Vergleichs mit jenen aus Slowenien - falls auch Reinhards Bekannter fündig wird.


    Liebe Grüße
    Linda