Hallo ihr Lieben,
eine Stunde.
Eine Stunde hat heute mein Heimweg vom Arbeitsplatz gedauert, normal wären 15 bis 25 Minuten und warum... nicht wegen eines Defektes am Wagen, nicht wegen eines schrecklichen Unfalles, sondern wegen der Studentenproteste.
In Graz ist eine große Gruppe Studenten von der Hauptuni zum Hauptplatz gezogen - in der Hauptverkehrszeit.
Natürlich, um 10 Uhr Vormittag können sie nicht, da schlafen die Meisten noch und die paar die wach sind, sind verkatert vom Protestieren in der vergangen Nacht.
Hohle Parolen wie "Wirtschaftsbosse an die Kette, wir sind keine Marionette" werden geschrien, liebe BWL und Jus Studenten, warum macht ihr euer Studium - um später mal die Kronenzeitung an vorbeifahrende Autos zu verkaufen oder um doch irgendwann einer dieser Wirtschaftsbosse zu werden, die ihr heute so verteufelt?
Also staue mich also langsam vorwärts, kommt so ein 19jähriges Studentenpüppi ans Auto, wachelt mir ein Flugblatt unter die Nase und fragt "wollen Sie unsern Protest unterstützen?". Ich ringe mit meiner Selbstbeherrschung und erwidere: "das tu ich schon indem ich hier mit laufendem Motor stehe und die Umwelt eurer Zukunft vergifte!".
Anscheinend wird Zynismus und Ironie auf den heutigen Unis nicht unterrichtet, die Gute hat mich ein wenig verwirrt angeschaut und weiter mit ihren Zetteln gewedelt... muss schlimm sein in einer Generation aufzuwachsen die Emotionen nur über Emoticons ausdrücken und verstehen kann.
Wie hat das Ganze eigentlich angefangen? Ein paar unausgelastete Studenten haben im Rausch und ohne jeden Plan das Audimax besetzt und sind offenbar erst nach Stunden drauf gekommen, dass ein Protest nur dann zielgerichtet ist, wenn auch ein paar Punkte am System kritisiert werden und zur Änderung angeprangert werden können.
Als sie das realisiert haben, waren da halt schon sehr viele Studenten und kam ein wildes Durcheinander an Vorschlägen heraus, eine Kakophonie von Schnapsideen die unfokusiert präsentiert wurden.
Ich stimme der ORF ZIB Berichterstattung nicht immer zu, aber die Studentendemos wurden von Anfang an - durch die Blume aber doch - als "wirrer Haufen ohne Ziel" bezeichnet und das Schlimme daran: wirklich geändert hat sich das in den letzten Tagen nicht.
Liebe Studenten, überlegt euch mal was ihr WIRKLICH wollt, setzt ein paar Prioritäten und denkt mal WIRKLICH darüber nach, was sich ändern soll und wie.
Mit hohlen Sätzen wie "Wir sind doch nicht doof und zugangsbeschränkt wollen wir nicht sein" werdet ihr keinen Krieg gewinnen... keine Zugangsbeschränkung und dann noch EU-weite Zuwanderung von Studenten. Und die gleichen Studenten die heute gegen Zugangsbeschränkungen demonstrieren stehen in 6 Monaten auf der Strasse und demonstrieren gegen überfüllte Lehrsääle.
Lustige Transparente die Hahn und Cock in einem Satz führen werden geschwenkt, sollte der arme Herr Hahn dann noch an der Macht sein, muss er natürlich gleich neue Unis bauen, die alten sind überfüllt. Dann brauchen wir natürlich mehr Personal und die Akademikerarbeitslosigkeit regelt sich von selbst, dann dürfen alle die heute für freien Zugang demonstrieren in 5 Jahren automatisch als Unterrichtspersonal in die neuen Unis - in 10 Jahren haben wir die höchste Akademikerquote der EU und in 20 Jahren die höchste weltweit. In 30 Jahren schließlich ist jeder 2. Österreicher Student und die Studiengebühren wurden auf Wunsch der Mehrheit (der Studenten) abgeschafft, da Geld ja einfach auf Bäumen wächst und dieses System ja nicht finanziert werden muss.
Ja, ich weiß, viele Studenten müssen hart arbeiten um sich das Studium zu finanzieren... aber viele Nicht-Studenten müssen von viel härter arbeiten um sich ihr Überleben zu finanzieren und erhalten keine Kinderbeihilfe, kein Stipendium und keine großzügigen Zuwendungen vom Staat dafür, daß sie später viel Geld verdienen und weiterhin auf ihre Managergehälter bestehen, während die kleinen Arbeiter "freiwillig" auf einen Teil ihres Lohnes verzichten um eine Firma (die meist wieder ehemaligen Studenten gehört und von solchen geleitet wird) in schlechten Zeiten am Leben zu erhalten.
Jeder Gesellschaft der es zu gut geht, jede Bevölkerungsgruppe die nie leiden musste, jeder Zusammenschluss von Individuen denen es an nichts fehlt läuft irgendwann am gleichen Punkt auf: Stillstand ist der Tod und wir müssen etwas ändern um der Änderung willen.
Brave New World
Es grüßt
ein nachdenklicher Andreas